Umsetzung des Schwammstadt-Prinzips
Es ist Zeit zu handeln.
Die Auswirkungen des Klimawandels waren in den letzten beiden Jahren in Europa und auch in Deutschland spürbarer als je zuvor. Lang anhaltend hohe Temperaturen in Kombination mit geringen Niederschlägen im Frühjahr und im Sommer 2018 haben uns Menschen belastet und auch der Natur sichtbar zugesetzt.
Die Sommer 2018 und 2019 aus meteorologischer Sicht
Hinweise auf die Auswirkungen geben die Auswertungen des Deutschen Wetterdienstes für das Jahr 2018: So war das Jahr 2018 mit einer Mitteltemperatur von 10,5 °C das bisher wärmste in Deutschland beobachtete Jahr seit dem Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen im Jahr 1881. Bemerkenswert ist die lang anhaltende Trockenheit von Februar bis November. Die Kombination aus hohen Temperaturen und geringen Niederschlägen macht das Jahr 2018 besonders außergewöhnlich. Auch für die Sonnenscheindauer wurde ein neuer Rekord aufgestellt: Im Zeitraum Ende Juli bis Mitte August wurden sehr hohe Temperaturen registriert, die oftmals die 30 °C- Marke überstiegen. Im Vergleich zum vieljährigen Bezugszeitraum 1961–1990 ergibt sich eine positive Abweichung von +2,3 Kelvin [K]. Bis Ende November 2018 lag auch die Niederschlagssumme auf Rekordkurs: Danach steht das Jahr 2018 nach den Jahren 1959, 1911 und 1921 hinsichtlich Trockenheit auf Platz 4 seit 1881 [1].
Im Jahr 2019 wurde ein neuer nationaler Hitzerekord in Deutschland aufgestellt: Vom 24. bis 26. Juli herrschte eine außergewöhnliche Hitzewelle mit Höchsttemperaturen von über 40 °C an drei aufeinander folgenden Tagen im Westen des Landes; das erste Mal seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen hierzulande. Dabei wurden an diversen Messstationen neue Rekordwerte mit einem nationalen Allzeitrekord von 42,6 °C am 25. Juli 2019 an der Station Lingen im Emsland registriert. Auch in anderen Ländern im westlichen Europa, z. B. in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg, wurden zahlreiche Stations- und weitere Landesrekorde aufgezeichnet [2].
Inwieweit auch die Jahresniederschläge im Jahr 2019 in der Summe als zu gering bewertet werden müssen, werden erst die Auswertungen am Jahresende zeigen. Eines kann man aber schon jetzt festhalten: Die Spätfolgen der zu geringen Niederschläge im Jahr 2018 und der fehlende Niederschlag in der ersten Jahreshälfte 2019, waren bereits in den heißen Sommermonaten 2019 erkennbar und werden langfristige Auswirkungen haben. Aus Sicht der Waldbesitzer wurde bereits von einer Jahrhundertkatastrophe gesprochen.
Auswirkung der Trockenheit auf Stadtbäume
Von der Trockenheit noch stärker betroffen waren Stadtbäume in Parks und an Straßen. Dass es den Bäumen schlecht ging, konnte jeder leicht an schlaff herunterhängenden, sich einrollenden, gelb verfärbten oder abfallenden Blättern erkennen, und so riefen Kommunen die Bürgerinnen und Bürger dazu auf, die Stadtbäume mit Wasser zu versorgen. Gegossen wurden Bäume sowohl von städtischen Mitarbeitern als auch von Anwohnern mit Trinkwasser. Aus Tankwagen und Eimern goss man direkt in Stammnähe, wodurch Bäume, deren Wurzeln die häufig viel zu klein dimensionierte Pflanzgrube noch nicht verlassen hatten, sicherlich unterstützt werden konnten. Ältere Bäume, von denen angenommen werden kann, dass sie ebenfalls in zu klein dimensionierte Pflanzgruben gepflanzt wurden, und deren wasser- und nährstoffaufnehmende Wurzeln die Pflanzgrube trotzdem verlassen haben, erreichte dieses Gießwasser definitiv nicht. Zudem waren auch die tiefer liegenden Bodenschichten in den Städten, verstärkt durch den hohen Ver- siegelungsgrad und die verringerte Grundwasserneubildung, ausgetrocknet.
Einfluss der Bauweisen für Pflanzgruben auf die Stadtbaumvitalität
Auf die Folgen und auch die Hintergründe von zu klein dimensionierten Pflanzgruben hat ein großer Wegbereiter der Schwammstadt-Idee, Klaus Schröder, bereits frühzeitig hingewiesen, so z. B. auch während eines Vortrags auf dem Österreichischen Baumforum am 26.03.2009 in Wien [3], [4]:
Naturgemäß wird, besonders in Zeiten nicht mehr prall gefüllter Kassen, die Frage nach dem Sinn des Aufwandes, der heute für die Standortoptimierung von Bäumen betrieben werden muss, gestellt. Doch solche auf Nachhaltigkeit und Dauerhaftigkeit angelegte Pflanzungen sind nur bei vordergründiger Betrachtung „teuer“. Denn: Wer kennt sie nicht, die bedauernswerten Kreaturen, die auf „billig“ hergerichteten Standorten schon nach wenigen Jahren dahin- siechen, in der sprichwörtlichen Situation ,,zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“, um dann schließlich, einige Jahre später, doch ausgewechselt zu werden. Wer die Fehlinvestition solcher Baumpflanzungen durchdenkt, die Verzinsung des ein- gesetzten Kapitals, die Kosten der jahrelangen nutzlosen Pflege und schließlich die Aufwendungen für den Ersatz durch neue Bäume berücksichtigt, muss zu der Überzeugung gelangen, dass die Aufwendungen zur Schaffung bester Wachstumsbedingungen auch unter ökonomischen Aspekten, eine gute Kapitalanlage sind. Einmal abgesehen von der nicht erfüllten Funktion, deretwegen die Bäume ja ursprünglich auch gepflanzt wurden.
Vitale Bäume und reduzierter Pflegeaufwand sind erreichbare Ziele, die die anfänglichen Mehrausgaben für optimal angelegte Pflanzungen wettmachen. Allerdings sollten die erforderlichen Investitionen zum Zeit- punkt der Pflanzung erfolgen und nicht irgendwann im Nachhinein, zur Korrektur von Fehlern. Bei der Pflanzung von Stadtbäumen müssen die neuesten Erkenntnisse der Vegetationstechnik / Bautechnik angewendet bzw. berücksichtigt werden!
Vorträge wie diese haben dazu beigetragen, dass sich auch die Pflanztechniken für Bäume weiter- entwickelt haben. Pflanzgrubenbauweisen mit Substraten, die eine optimale Bodenbelüftung des Wurzelraums sicherstellen, wurden entwickelt. Dass für die Bewässerung der so gepflanzten Stadtbäume Niederschlagswasser genutzt wer- den kann, liegt auf der Hand. Die sogenannte „Stockholmer Lösung“ [5], das Synonym für eine Pflanzgrubenbauweise, bei der hoch verdichtbarer grober Schotter die Tragestruktur bildet, vereint die Elemente Wurzelraum und Speicher für Niederschlagswasser. Im Ergebnis können so bereits die Betriebskosten für Stadtbäume gesenkt werden.
Das Schwammstadt-Prinzip
Diese Bauweise greift aber noch viel weiter: Im Bericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) „Überflutungs- und Hitzevorsorge durch die Stadtentwicklung“ werden diese Maßnahmen als sogenanntes Schwammstadt-Prinzip bezeichnet. Es ist Ziel dieser veränderten Nutzungen, die Oberflächen der Stadt stärker als bisher für die Aufnahme und Speicherung von Niederschlagsmengen zu etablieren. Durch diese Art des naturnahen Regenwassermanagements in den Städten können Grünflächen zu natürlichen „Kühlschränken“ der Stadt werden, indem sie ausreichend mit Wasser versorgt werden. Diese Kühlleistung kann durch die Speicherung von Niederschlagswasser, bodenverbessernde Maßnahmen und kontinuierliche Versorgung der Vegetation mit Wasser gesteigert werden. Die Förderung des Schwammstadt-Prinzips und die Entwicklung nachhaltiger Speicher- und Bewässerungssysteme werden daher als zentrale Zukunftsaufgaben für klimaangepasste Städte beschrieben [6].
Mit Blick auf die in der Einleitung beschriebenen Auswirkungen von lang anhaltenden Trockenperioden auf die Stadtbäume liegt es nahe, die Wurzelräume und deren Speicherräume für Niederschlagswasser weiter zu vergrößern. Eine im städtischen unterirdischen Raum scheinbar unlösbare Aufgabe, wenn man sich die intensiven Nutzungen vor Augen hält. Sie wird aber lösbar, wenn diese Bauweise in den Leitungsgräben von Abwasserkanälen genutzt werden kann.
Das Schwammstadt-Prinzip im Straßenraum. Der Boden im Leitungsgraben wird durch den Einsatz
von grobkörnigen gebrochenen Materialien mit großem Speichervolumen zum Niederschlagswasser-
Speicher und zum erweiterten Wurzelraum.
Duktile Guss-Rohrsysteme – Lösungen mit einem robusten Boden-Rohr-System
Ein Rohrsystem, das in diesem grobkörnigen Bettungsmaterial eingebaut werden darf, wird aus duktilem Gusseisen nach EN 598 [7] gefertigt und mit einer Zementmörtel-Umhüllung (ZM-U) nach EN 15542 [8] gegen Korrosion und mechanische Beanspruchung geschützt. Die verwendeten Steckmuffen-Verbindungen, Typ TYTON®, sind wurzelfest und dicht gegenüber Wasseraußendruck.
Die Zementmörtel-Umhüllung kann in gebrochenem Bettungsmaterial mit einem Größtkorn bis 63 mm und Einzelkörnern bis max. 100 mm Größe eingesetzt werden [9].
Beim Boden-Rohr-System wird der Leitungsgraben mit den duktilen Gussrohren unterhalb der Fahr- bahn zum Speicher für Niederschlagswasser. In diesen Speicher kann das Wasser von nicht belasteten Flächen, wie beispielsweise Dachflächen (Ausnahme Dächer mit Kupfer- oder Zinkdeckung), direkt eingeleitet werden. Belastete Niederschlagswässer werden zunächst vorbehandelt und dann in den Niederschlagswasser-Speicher eingeleitet. Für die Vorbehandlung können z. B. auf dem Markt befindliche Systeme mit DIBt-Zulassung verwendet werden. Das Wasser dient entweder der Bewässerung der im Leitungsgraben wachsenden Baumwurzeln oder wird im Sinne eines Rigolen-Systems versickert.
Zusammenfassung
Die Auswirkungen des Klimawandels waren in den letzten beiden Jahren in Europa und auch in Deutschland spürbarer als je zuvor. Lang anhaltend hohe Temperaturen in Kombination mit geringen Niederschlägen im Frühjahr und im Sommer 2018 waren für die Menschen spürbar und haben auch der Natur zugesetzt. Es ist jetzt Zeit zu handeln!
Bautechnische Lösungen für diese Aufgabenstellungen wurden in den letzten Jahrzehnten erarbeitet. Die Anwendung des Schwammstadt- Prinzips ist umsetzbar geworden: Die Bauweisen für die Pflanzung von Stadtbäumen wurden weiter- entwickelt und mit dem beschriebenen Boden-Rohr-System für duktile Gussrohre wurde eine Möglichkeit aufgezeigt, auch die bisher ungenutzten großen Volumina der Leitungsgräben in die Planungen einzubeziehen. Wir müssen jetzt handeln, um auch die städtischen Infrastrukturen klimafest zu machen. Durch die Integration von Stadtgrün bei der Planung der unterirdischen Infrastrukturen ergeben sich Handlungsspielräume, die ausgeschöpft werden müssen.
Autor:
Christoph Bennerscheidt, EADIPS®/ FGR®