Die Stellung des duktilen Gussrohres im Materialmix
Erfolgreiches Anwendungsbeispiel der Berliner Wasserbetriebe
BWB-Leistungsspektrum
Duktile Kanalrohre lösen Platzprobleme
Über viele Jahre sah das interne Regelwerk der Berliner Wasserbetriebe (BWB) folgende Rohrmaterialien für die verschiedenen Einsatzbereiche vor:
- Trinkwasserdruckleitungen bis DN 400: Guss
- Trinkwasserdruckleitungen > DN 400: Stahl
- Abwasserdruckleitungen bis DN 400: Guss
- Abwasserdruckleitungen > DN 400: Stahl
- Schmutzwasserleitungen: Steinzeug
- Mischwasserleitungen: Beton
Je nach bautechnischen Erfordernissen waren schon immer Abweichungen von diesen Regeln möglich. So konnten nur duktile Kanalrohre das Platzproblem lösen, welches im Jahr 2008 bei der Erneuerung einer Freispiegel-Abwasserleitung DN 600 in der Tiergartenstraße aufgetreten war [1].
Duktile Gussrohre bewähren sich bei grabenlosen Verfahren
Auch bei der Entwicklung der grabenlosen Erneuerungsverfahren um die Jahrtausendwende setzten die BWB sehr stark auf den Einsatz duktiler Gussrohre mit längskraftschlüssigen Verbindungen; zunächst bei den Trinkwasser-Versorgungsleitungen DN 100 bis DN 400 im Wurzelraum der Straßenbäume [2], später auch bei größeren Nennweiten und auch bei Abwasserdruckleitungen, z. B. einer grabenlosen Erneuerung und Nennweitenerweiterung von DN 300 auf DN 500 im Press-Ziehverfahren mit Bodenentnahme [3].
Duktile Guss-Rohrsysteme mit vielen Vorteilen
Daneben gab es immer wieder Bau- und Erneuerungsprojekte, wo die Planer der BWB innovative Lösungen fanden, bei denen sie Ausnahmen von den Materialregeln machen mussten, um bautechnische und wirtschaftliche Vorteile mit duktilen Guss-Rohrsystemen zu erzielen. Eine schwere Aufgabe besteht z. B. im Ersatz bestehender AZ-Leitungen. Während der Teilungsjahre stellte ein Werk in Berlin-Rudow AZ-Rohre her, die aus politischen Gründen in Berlin eingebaut wurden. Der fach- und umweltgerechte Ausbau dieser Rohre lässt sich elegant im Hilfsrohrverfahren mit duktilen Gussrohren bewerkstelligen [4].
Das Einziehen von Doppel-Rohr-Druckleitungen 2 x DN 1200 [5] und DN 500 und DN 600 [6] für den Abwassertransport in unterirdisch vorgetriebene Stahlbetonrohre gehört ebenfalls zum erprobten Repertoire der BWB. Ein dreifach nach hydraulischer Leistung gestufter Abwasserdüker aus duktilen Gussrohren DN 200, DN 300 und DN 400, eingebaut in ein Stahlbetonvortriebsrohr DN 2000, gehört in diese Kategorie [7].
Aufgrund diverser Einschränkungen durch verschiedene Berliner Senatsverwaltungen mussten die BWB immer wieder neue Bauverfahrenstechniken anwenden, um ihrer eigentlichen Aufgabe, nämlich der Sicherung der Trinkwasserversorgung der Hauptstadt mit ihren 3,6 Mio. Einwohnern, gerecht zu werden. So war im Jahr 2011 die Rohwasserleitung DN 700 der Brunnengalerie „Schildhorn“ zu erneuern. Der Einsatz der sonst üblichen geschweißten Stahlrohrleitungen war wegen der äußeren Randbedingungen kaum möglich, sodass auch hier Abweichungen vom alten Regelwerk erforderlich wurden. Das Problem wurde mit dem HDD-Spülbohrverfahren gelöst, bei dem duktile Gussrohre mit formschlüssig zugfesten Verbindungen über eine Länge von 486 m grabenlos im Einzelrohreinzug eingebaut wurden [8]. Für dieses außergewöhnliche Projekt erhielt der Bauherr BWB den GSTT-Award 2011 – für ein innovatives und bedeutendes Projekt des grabenlosen Bauens.
Eine eigene Werksnorm bietet Sicherheit
Mit zunehmender Kenntnis in Umgang und Verwendung duktiler Gussrohr-Systeme wuchs die Sicherheit bei den verantwortlichen Planern der BWB für immer schwierigere Projekte. Hatte man schon vor einigen Jahren mit Rohren kleinerer Nennweiten (DN 80 bis DN 250) für fliegende Leitungen positive Erfahrungen gesammelt [9], so konnte zuletzt das Nennweitenspektrum vergrößert werden [10], [11]. Weil diese temporär betriebenen Druckleitungen im öffentlichen Straßenraum dazu dienten, eine Bypass-Funktion während der Erneuerung bestehender Abwasserdruckleitungen zu übernehmen, drängten sich bei der Planung Sicherheitsaspekte in den Vordergrund. In Ermangelung eines ausgefeilten Technischen Regelwerks für Planung, Bau, Betrieb und Demontage derartiger „Interimsleitungen“, erstellten die BWB in Zusammenarbeit mit EADIPS FGR eine eigene, detaillierte Werksnorm, die WN 321 Planung, Bau, Betrieb und Rückbau von oberirdisch verlegten Interimsleitungen aus duktilen Gussrohren und Stahlrohren – Verlegerichtlinie [12]. Diese öffentlich zugängliche Werksnorm ermöglicht es den Anbietern von Planungs- und Bauleistungen, für bestimmte Projekte eigene Ideen zu entwickeln, ohne den vorgegebenen Sicherheitsrahmen zu verlassen.
Bau von Interimsleitungen
Im Folgenden werden zwei jüngere Beispiele von Interimsleitungen in der Praxis beschrieben:
Forst Jungfernheide/Wald am Flughafensee
Die Berliner Wasserbetriebe haben im Forst Jungfernheide und im Wald am Flughafensee eine große Abwasserdruckleitung auf mehr als 4 km Länge erneuert – mit ökologischer Baubegleitung und schonend für Tiere und Pflanzen jeweils nur im Herbst und Winter.
Für die Arbeiten an der 4.083 m langen Strecke quer durch das Landschafts- und Trinkwasserschutzgebiet zwischen Seidel- und Bernauer Straße gab es eine Fülle von Auflagen vom Natur- und Artenschutz bis hin zur Gewährung immer freier Wege für die Tegeler Flughafenfeuerwehr. Darauf hatten die Planer der BWB mit einer Teilung in fünf Abschnitte reagiert, an denen außerhalb von Brutzeiten jeweils nur zwischen August und Februar gebaut worden ist. Um das Bautempo und die Entsorgungssicherheit zu gewährleisten, wurden einzelne Bauphasen mit oberirdisch verlegten provisorischen Leitungen (Interimsleitungen) überbrückt. Rohrbrücken aus Stahlrohren am Flugfeldzaun sicherten der Flugplatzfeuerwehr stete Durchfahrt.
Einsatz duktiler Gussrohre mit längskraftschlüssigen Verbindungen.
Erneuerung der Rohwasserleitung der Brunnengalerie „Schildhorn“.
Rohrbrücke aus Stahlrohren sichern die Zugänglichkeit.
Die Rohre der Interimsleitungen können immer wieder verwendet werden
Durch die bestehende Leitung aus AZ-Rohren fließt Abwasser aus dem Hauptpumpwerk Wittenau zum Klärwerk Ruhleben. Der Austausch der AZ-Rohre wurde nötig, weil sie heute, nach 60 Jahren, als bruchgefährdet gelten. Die neuen Rohre bestehen aus duktilem Gusseisen, einem Material, dessen Lebensdauer bei deutlich mehr als 100 Jahren liegt. In Tegel hatten die Wasserbetriebe auch erstmals in dieser Dimension mit wiederverwendbaren Interimsleitungen gearbeitet. Mit ihren Steckmuffen-Verbindungen können diese Rohre, anders als geschweißte Stahlrohre, an anderer Stelle immer wieder neu verwendet werden, weil sie sich leicht montieren und demontieren lassen. Die Rohre der Interimsleitungen wurden immer im nächsten Bauabschnitt für die endgültige Abwasserdruckleitung eingebaut.
Entwurzelte Eiche hat keinerlei Schaden an der Interimsleitung verursacht.
Bei einem außergewöhnlich starken Sturm im Oktober 2017 wurden im Forst Jungfernheide dutzende Bäume entwurzelt, wobei eine Jahrzehnte alte Eiche auf die Interimsleitung stürzte. Es kam zu keinerlei Betriebsstörungen. Nachdem der Baum von der Leitung entfernt worden war, zeigten sich keine Beschädigungen an der Rohroberfläche [10].
Ökologische Baubegleitung: Umzugshilfen für Ameisen und Orchideen
Im Rahmen der ökologischen Baubegleitung wurden Nester der geschützten Roten Waldameise umgesiedelt, frühmorgens und per Hand. Einen ähnlichen Service bekamen auch Breitblättrige Stendelwurzeln, seltene heimische Orchideen. Mussten tatsächlich Bäume mit Nisthöhlen gefällt werden, wurden diese Höhlen Monate zuvor mit Draht verschlossen, damit sie unbewohnt waren, wenn die Axt im Walde ansetzte. Mit Nistkästen wurde Ersatzwohnraum geschaffen, Molche bekamen Amphibien- brücken und Zauneidechsen – natürlich – Schutzzäune. Der insgesamt ca. 5,6 Mio. Euro umfassende Leitungsbau ist beendet, bis Januar 2020 waren die letzten Bauspuren im Wald getilgt.
Hermann-Hesse-Straße
In Berlin-Pankow wurden 458 m Interimsleitung DN 1000 in den Mittelstreifen der Hermann-Hesse- Straße gelegt, um das Abwasser während der Bauphase weiter zum Klärwerk Schönerlinde leiten zu können.
Für die Anlieger mussten im Vorfeld drei Düker in die Straße gelegt werden, um den Zugang zu den jeweiligen Grundstücken zu gewährleisten. Sie wurden aus Stahlrohren gefertigt und unterirdisch verlegt (keine Rohrbrücken). Am Anfang der Düker wurden Entlüftungsventile mit manueller Betätigung aufgebaut, um die Geruchsbelästigung für die Anwohner so gering wie möglich zu halten. Die Rohre der Interimsleitung werden im Anschluss für die endgültige Abwasserdruckleitung eingebaut.
Bis zur Nennweite DN 1000 gibt es die BLS®-Steckmuffen-Verbindung. Sie lässt sich um 1,5° abwinkeln und ist einfach zu montieren und demontieren. Für diese Baumaßnahme wurde ein Ingenieur-Büro beauftragt, die Statik für die Rohrleitung, die Auflager und die Sicherung der Leitung für den Fall eines Verkehrsunfalls zu berechnen. Danach sind bei unbefestigtem Gelände Lastverteilungsplatten unter die Rohrauflager zu legen.
Hartholzauflager mit Gleitblech und Lastverteilungsplatte.
Neue Abwasserdruckrohrleitung DN 1200 GGG und rechts Interimsleitung DN 1000 GGG.
Rohre DN 1000 mit BLS-Verbindung in der Bergstraße (Berlin-Steglitz).
Minimierung der Bauzeit – Minimierung der Anwohnerbelastung
Seit einigen Jahren werden auf allen gerade verlaufenden Trassen mit einer Länge von mehr als 70 m duktile Gussrohre eingesetzt, um die Bauzeiten in den ohnehin schon überlasteten Straßen so kurz wie möglich zu halten. Das Fügen der formschlüssigen Gussrohre benötigt wesentlich weniger Zeit als die Schweißverbindung von Stahlrohren mit dem anschließenden Herstellen des Korrosionsschutzes im Schweißnahtbereich. Die Minimierung von Bauzeiten in den oft engen Straßen ist oberstes Gebot, da die Arbeiten mit erheblichen Einschränkungen für die Anwohner verbunden sind. So mussten im Teilabschnitt Kulmer Straße in Schöneberg beide Parkstreifen freigemacht werden, damit sowohl Material als auch Baugeräte neben dem Rohrgraben Platz finden. Auch in den Vorortbezirken steht meist wenig Platz zur Verfügung, die Anwohner der Steglitzer Bergstraße müssen ihre Autos in einiger Entfernung von der Baustelle parken und längere Fußwege in Kauf nehmen. Es leuchtet ein, dass die BWB der Verkürzung von Bauzeiten höchste Priorität einräumen.
Großes Plus für Wirtschaftlichkeit und Langlebigkeit
Des Weiteren sind die duktilen Gussrohre in den großen Nennweiten preiswerter als Kunststoffrohre, und die Langlebigkeit der Gussrohre ist von sich aus überzeugend. Die älteste, nach wie vor störungsfrei in Betrieb befindliche Gussrohrleitung im Bereich der Berliner Wasserbetriebe ist 300 m lang; sie stammt aus dem Jahre 1860. Mit ihrer Nennweite 760 ist sie älter als die 1882 eingeführten Rohr-Normalien.
Weitere Interimsleitungen wurden gebaut: für eine Abwasser-Druckleitung DN 800 und 1000, für Trinkwasser als Bypass für Haupt- und Transportleitungen DN 400, DN 600 und DN 800. Bei allen Projekten wurden statische Nachweise entsprechend den Anforderungen der Werksnorm WN 321 gerechnet.
Autoren:
Michael Schneider, Berliner Wasserbetriebe und
Jürgen Rammelsberg, EADIPS FGR